Geschichte der alten Friedrichschule zu Gumbinnen (vor 1903)

Mit allgemeinen Informationen der Entwicklung und Förderung der höheren Schulbildung seit Anfang des 18. Jahrhunderts

Festrede des Direktors Dr. Hermann Jaenicke, gehalten am 3. Juli 1903 bei der Einweihungsfeier des neuen Schulhauses.

 

Hochansehnliche Versammlung!

Das alte Schulhaus, das wir soeben verlassen haben, hat gerade 140 Jahre dem Zwecke gedient, zu dem es ursprünglich bestimmt war. Es hat in dieser Zeit äußerlich keine einzige erwähnenswerte Wandlung durchgemacht, nur dass im Schulhofe 1872 das sogen. Klassenhaus hinzugekommen ist; aber in der innern Entwicklung dieser Bildungsstätte kann man drei wesentlich verschiedene Epochen unterscheiden: die Zeit von 1764 bis 1809, in der unsre Anstalt unter dem Namen "Friedrichschule" eine Bürger- oder Lateinschule war, dann die Zeit von 1809 bis 1812, in der sie als Königliche Provinzialschule gewissermassen den Übergang zu dem Königlichen Friedrichsgymnasium bildete, und endlich die Zeit von 1812 bis zur Gegenwart, in der sie als humanistisches Gymnasium bestanden hat. Die beiden letzten Entwickelungsstufen, also die Zeit von 1809 ab, will ich von meiner heutigen Betrachtung ausschliessen, da dies die natürliche Aufgabe des Leiters unsrer Anstalt sein wird, der im Jahre 1909 oder 1912 die hundertjährige Jubelfeier zu veranstalten hat.

Wenn ich nun etwas weiter aushole und auch die Gründungsgeschichte des alten Schulgebäudes berücksichtige, so liegt dies daran, dass in unsrer Stadt gerade um diese sich ein ganzer Sagenkreis gebildet hat, der doch einmal zerstört werden muss.

Unser Ort hat durch König Friedrich Wilhelm I., dessen Standbild unsern Marktplatz ziert, 1724 Stadtrecht erhalten; er besass aber schon lange vorher, wohl seit 1650, die Altstädtische Pfarrkirche, und neben dieser befand sich an der Stelle der heutigen städtischen höhern Mädchenschule eine Knabenschule, an der, wie es scheint, zwei Lehrer, der Rektor und der Kantor, unterrichteten. Die Einnahmen beider Lehrer waren sehr gering, 200 und 100 Taler, und die Leistungen der Schule gingen nicht viel über die einer Elementarschule hinaus; denn nur in der Rektorklasse wurde etwas Latein getrieben. Die Leistungen konnten schon deshalb nicht bedeutend sein, weil der Rektor gleichzeitig Prediger an der Salzburger Kirche war und Sonnabend z. B. gar nicht unterrichtete; und der Kantor hatte ebenfalls nebenher seinen anstrengenden Kirchendienst, wie denn beide Lehrer durchaus unter der Aufsicht des Probstes oder ersten Predigers standen. Auch die Schülerzahl war nicht sonderlich hoch, da ausser der Stadtschule noch die Salzburger Hospitalschule, die Glöcknerschule und die Winkelschule eines stellenlosen Schreibers, namens Lottermoser, vorhanden waren. Trotzdem nahm die Stadtschule unter Leitung ihres letzten Rektors, Pastenacci, einen gewissen Aufschwung.

Da brach 1756 der Siebenjahrige Krieg aus; die Russen besetzten anfangs 1758 Ostpreussen und gaben es erst im Juli 1762 wieder auf. Man sollte glauben, dass der Einbruch dieser Barbaren unsrer Schule uberhaupt ein Ende hätte machen müssen. Dies geschah aber nicht, im Gegenteil, es trat eine entschiedene Wendung zum bessern ein. Das Verdienst darum gebührt dem damaligen Prasidenten der hiesigen Regierung oder, wie diese Verwaltungsbehörde zu jener Zeit noch hiess, der Kriegs- und Domänenkammer: Johann Friedrich von Domhardt.

Ein geborner Braunschweiger, war er mit seinen Eltern in Ostpreussen eingewandert und hatte zunächst die Kgl. Domäne Ragnit gepachtet; bald nach Friedrichs II. Regierungsantritt wurde er Kriegs- und Domänenrat zuerst in Königsberg, dann in Gumbinnen, später Kammerdirektor, d. h. Oberregierungsrat, hier, endlich kurz vor Ablauf des 7jährigen Krieges Präsident der hiesigen Kammer. Er besass eine hohe staatsmännische Begabung und schöpferische Tatkraft, dabei war er ein reiner, selbstloser Charakter und hingebender Patriot. Er ist in der Zeit der russischen Okkupation für Ostpreussen das gewesen, was nach dem unglücklichen Frieden von Tilsit der Regierungspräsident von Schön war. In seiner hohen Stellung fasste Domhardt, dem überhaupt nicht so leicht eine wichtige Angelegenheit seines Aufsichtsbezirks entging, auch die Hebung der hiesigen Stadtschule ins Auge, und wunderbar genug: er konnte seine Absichten in der Russenzeit besser durchsetzen, als unter preussischer Herrschaft, wo er in allen Geldangelegenheiten durch das Generaldirektorium, das spätere Staatsministerium, überaus gebunden war.

Sein Plan ging zunächst dahin, das alte Schulgebäude am Damm zu erweitern, einen dritten Lehrer anzustellen und für alle drei Kollegen zusammen ein eigenes Wohnhaus zu errichten. Er wandte sich deshalb an den russischen Gouverneur, Generalleutnant Freiherrn von Korff, mit der Bitte, ihm fur diesen Zweck 500 Taler anzuweisen, und das Geld wurde überraschend schnell bewilligt und am 5. Januar 1761 vom Magistrat in Empfang genommen. Darauf liess sich der Präsident durch den Probst der Altstädtischen Kirche und den Magistrat einen Bericht erstatten, in dem Vorschlage für die Verbesserung des hiesigen Schulwesens gemacht werden sollten. Dieser Bericht ging noch weit über Domhardts eigene Wünsche hinaus, fand aber freundliche Aufnahme bei ihm. Danach sollten nämlich im ganzen vier Lehrer angestellt und vier Klassen eingerichtet werden mit dem Lehrplane einer Lateinschule. Die Gehalte der Lehrer (200, 110, 72 und 66 Taler) hoffte man durch die Kämmereikasse, die Kirchenkasse und das Schulgeld aufzubringen; hierbei waren Beamte und Großbürger mit einem Gulden, Kleinbürger mit 15 Groschen und Tagelöhner mit 10 Groschen vierteljährlich angesetzt. Außerdem schlug der Magistrat, der die doppelten Unterhaltungskosten für das alte Schulhaus und das neue Lehrerhaus fürchtete, vor, man solle ein ganz neues Gebäude mit vier Klassen und ebenso vielen Lehrerwohnungen errichten; die Stadt wolle zum Neubau die Handlanger sowie Grand, Feldsteine und Ziegeln (diese aus Stannaitschen) unentgeltlich liefern.

Es fragte sich jetzt vor allem, wo das neue Schulgebäude zu errichten sei. Man dachte nach einander an die jetzige Dammstraße, dann an die Kirchstraße da, wo heutzutage die Forstabteilung der Königl. Regierung untergebracht ist, endlich an die Sodeiker Straße; man entschied sich schließlich für den Platz in der Kirchstraße und begann bereits mit der Fundamentierung. Da von den Russen kein weiterer Zuschuß als die bereits erwähnten 500 Taler zu erlangen war, so sorgte der Prasident in andrer Weise für den Bau, auch nachdem er Mitte 1762 von hier nach Königsberg ubergesiedelt war, wo er noch mehrere Jahre als Oberpräsident die drei Kammern in Königsberg, Gumbinnen und Marienwerder und nach der ersten polnischen Teilung auch die Kammerdeputation in Bromberg, die fur den Netzedistrikt eingerichtet wurde, zu beaufsichtigen hatte. Er wies nämlich die hiesige Kammer an, sich des noch vorhandenen Salzburger Etablissementsfonds und anderer Depositen zu bedienen; es waren davon im ganzen etwa 8000 Taler vorhanden. Ebenso bestand Domhardt darauf, dass noch ein neuer Schuletat und ein neuer Lehrplan ausgearbeitet wurden; beides geschah durch den Kriegs- und Domänenrat Bolz, den Probst und den Stadtrichter, und beides hat bis 1809 Bestand gehabt.

Inzwischen hatte man von dem weitern Bau auf der Kirchstraße Abstand genommen, ich weiß nicht weshalb. Die Fundamente wurden wieder entfernt und verkauft, und man entschloß sich dann endgültig, das neue Gebäude auf "dem wüsten Platze dem Rathause gegenüber", d. h. auf dem Grundstück in der Darkehmer Straße, zu errichten. Das ganze Viertel bis zur Garten- und Sodeiker Straße war damals noch unbebaut, und man erblickte von der grossen Brücke her nur das Magazingebäude; und um das Viertel herum legte sich ein alter Arm unsers Flusses, der ebenso wie ein grosser Tümpel in der Mitte des Platzes erst mühsam entwässert werden musste. Der Grundstein wurde am 24. Mai 1763 gelegt und der Bau auf einem Pfahlrost und einem 13 Zoll tiefen Fundamente in zwei Stockwerken aufgerichtet; er rückte dank dem beständigen Drängen Domhardts von Königsberg her rüstig vorwärts, so dass schon am 24. Mai 1764 die feierliche Einweihung stattfinden konnte. Anwesend waren hierbei das ganze Kammerkollegium und der Magistrat; der Probst hielt als Schulinspektor die Weiherede. Den mittlem Teil des Gebäudes nahmen die vier Klassenzimmer, die beiden Flügel je zwei Lehrerwohnungen ein; der Bau gehörte zu den schönsten Häusern der Stadt und übertraf auch alle anderen Schulen der Provinz an Schönheit und Bequemlichkeit. Aus Dankbarkeit gegen den grossen König legte sich die neue Schule den Namen "Friedrichschule" oder "Fridericianum" bei, obwohl sie meist die Große oder die Gelehrte Schule genannt wurde.

Die bisherige Elementarschule hatte sich also in eine Lateinschule verwandelt, deren Bedeutung und Wert wir erst dann richtig erfassen können, wenn wir das höhere Schulwesen der damaligen Zeit uberhaupt wenigstens in aller Kurze skizziert haben.

Der Vater Friedrichs des Großen hat einmal den Ausspruch getan: "Ich bin kein Pietist, aber Gott vor alles in der Welt und alles mit Gott." Indessen, die Erziehung, die er seinem Sohne geben ließ, war, wie jedermann weiß, und wie es in jener Zeit allgemein üblich war, durchaus pietistisch, d. h. die Wissenschaften traten gegen das "Christentum" - so nannte man damals die Religionsstunden - sehr in den Hintergrund. In Kursachsen gab es an jedem Mittwoch noch eine besondere Vormittagstunde zur Übung im Christentum; in ihr sollten die fähigeren Schüler daran gewohnt werden, einen Seufzer oder ein kurzes Gebet zu machen über die allgemeine Not der Welt und ihre während der Schulwoche etwa bestraften Mitschüler durch einen Bibelspruch an ihr Unrecht zu erinnern. Dass eine solche unnatürliche, die Seelen der Kinder peinigende Erziehung nichts weniger als wahre Religiösitat erzeugen würde, und dass sie nicht langen Bestand haben konnte, war vorauszusehen. Mit dem Regierungsantritt des großen Königs kam denn auch eine in das gerade Gegenteil umschlagende Reaktion in Gestalt des Rationalismus oder der Aufklärung, deren eifrigste Verbreiter Voltaire und der preussische König selbst waren. Aber nicht allen genügte die in der Aufklärung vorherrschende Verneinung alles Bestehenden und Wirklichen: viele sehnten sich nach einem volleren, positiveren Inhalt, und diesen brachte dann Klopstock, der das Religiöse in das Gebiet des Menschlichen, Erhabenen und Schönen versetzte. Eine schwärmerische, oft tränenselige Liebe und Verehrung dankte dem Dichter, dem es vergönnt war, das religiöse, das deutsche und das klassische Element harmonisch mit einander zu verknüpfen, wenn er auch mehr die gotische, als die griechische Saite in dem deutschen Nationalcharakter anzuschlagen verstand. Da waren es erst Winkelmann und Lessing, Herder und Goethe, Schiller und Humboldt, die auf das Ideal wieder kräftig zurückgriffen, das schon einmal die Welt beherrscht und erfüllt hatte, auf den griechischen Humanismus des 15. und 16. Jahrhunderts. Und doch welch Unterschied zwischen damals und jetzt! Denn der Neuhumanismus dieser Männer nahm eine unendlich viel freiere, unabhängigere Stellung zu den Griechen ein, als der Althumanismus es getan hatte; das Verständnis der Griechen wurde tiefer, innerlicher, es beruhte gewissermassen auf einer Gleichartigkeit innern Erlebens, ohne das eigene Volkstum aufzugeben; es war ein wetteiferndes Ringen mit den Alten um den Preis der Schönheit. Anstatt bei den Franzosen und Engländern, von denen man ganz abhängig geworden war, ging man fortan an die unverfälschte, reine Quelle, bei den Griechen selbst zu Gaste. Man ersieht dies besonders deutlich aus der seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wachsenden Zahl der Homerübersetzungen und Homerausgaben; ich erinnere hier nur an die Voßsche Übersetzung, an die Prolegomena Friedrich August Wolfs und an die große Homerausgabe Heynes. Mit solchen Werken und Winkelmanns Kunstgeschichte kam erst die echte ästhetische Anschauungsweise der gebildeten Völker Europas auf; man fühlte jetzt erst, wie die von Bodmer und Gottsched gelehrte Kunstpoesie verwerflich und nichtig, die natürliche und volkstümliche Dichtung Homers die einzig wahrhaftige sei.

Es war gut, dass das preussische Schulwesen, das gegen die Nachbarstaaten, besonders Hannover und Kursachsen, sehr zurückgeblieben war, seit 1771 in dem Staatsminister Freiherrn von Zedlitz einen verständnisvollen und tatkräftigen Förderer erhielt; er stand den Alten ursprünglich fern, gehörte aber der aufklärerischen Richtung an und arbeitete sich allmählich auch in die humanistische Strömung hinein. Er lernte noch als Minister das Griechische und machte Studien in der lateinischen Literatur. Im Jahre 1779 hatte er mit dem König eine eingehende Besprechung, deren Frucht die berühmte Kabinettsordre war, in der Friedrich es mit aller Bestimmtheit ausspricht, dass er vom Griechischen und Lateinischen bei den Schulen durchaus nicht abgehe; diese beiden Sprachen seien nebst Logik und Rhetorik die wesentlichsten Stücke des Unterrichts, es käme nur darauf an, die leichteste Methode zu finden. Am meisten liege ihm daran, dass der Inhalt, nicht die Worte gelernt wurden, daher seien auch von allen Schriftstellern deutsche Übersetzungen anzufertigen und den Schülern in die Hand zu geben. Die grösseren Schulen Preussens erhielten nun auch von Zedlitz darauf hinzielende Instruktionen, aber imgrunde gingen doch nur zwei Berliner Anstalten unter ihren hervorragenden Direktoren Gedike und Meierotto auf die Neuerungen ein; die anderen wiesen sie als pädagogisch und religiös bedenklich zurück und blieben bei den Zuständen, wie sie seit dem 16. Jahrhundert allgemein zu finden waren.

Gedike dagegen führte seine Schüler so bald als möglich an die alten Schriftsteller selbst heran: er erkennt den hohen Wert des rein sprachlichen Unterrichts als solchen und weist auf den Nutzen hin, den schon das Herauswickeln der Bedeutung eines Wortes aus der Etymologie oder dem Zusammenhange einer Stelle fur die Aufhellung des Verstandes mit sich bringt. Horaz dient ihm dazu, die Schüler in der Kunst des Auslegens zu üben, der Kunst, die späterhin Theologen, Philologen und Juristen anzuwenden haben. Das Griechische vergleicht er inbezug auf den Wert fur die Ausbildung des Geistes mit dem Tanzunterricht inbezug auf die Geschmeidigkeit des Körpers. "Wolltest du darum deine Tanzstunde bereuen, weil du früh genug aufhören wirst zu tanzen? Hat sie dir nicht Gewandtheit verliehen? Nun, so sei versichert, wenn du auch einst dein Lateinisch und Griechisch vergessen solltest, der Vorteil bleibt dir gewiss, dass die geistigen Fahigkeiten, die du gewonnen hast, dich auch in dein Geschäft begleiten." Er verweist auf die Engländer, die trotz ihrer vortrefflichen klassischen Bildung die tüchtigsten Geschäftsleute sind. Es wurden unter Gedike weit mehr griechische Schriftsteller gelesen, als heutzutage, wobei allerdings zu bemerken ist, dass der schriftliche Gebrauch der griechischen Sprache gar nicht geübt wurde. Auch eine didaktische Neuerung kam durch Gedike auf, die später immer allgemeinern Anklang fand: bisher übersetzte nämlich der Lehrer den Schriftsteller vor und verlangte dann erst vom Schüler die Wiedergabe; jetzt hatte sich jeder Schüler selbst zu Hause vorzubereiten, d. h. er musste wenigstens mit den Vokabeln und dem Inhalte eines Abschnitts im allgemeinen vertraut sein und auch angeben können, wo bei schwierigen Stellen die Schwierigkeit liege. Gedike wurde später Mitglied der obersten Schulbehörde in Preussen und hat in dieser Stellung auch grossen Einfluss auf die Organisation unsrer höheren Schulen ausgeübt, aber, die allermeisten Schulen blieben doch weit hinter seinen Wünschen zurück. Der Hauptgrund hierfür lag darin, dass die Lateinschulen noch sämtlich Bürgerschulen waren, dass also alle Knaben, die überhaupt Unterricht empfingen, dieselbe Schule besuchten, und zwar dergestalt, dass die grosse Masse in den untersten Klassen zuruckblieb, die Söhne der Wohlhabenden bis in die mittleren Klassen aufstiegen und die zukünftigen Studierenden allein auch die obersten Klassen durchmachten, um dann zur Universität überzugehen. Man sah die Ungereimtheit dieser Einrichtung sehr wohl ein; hielten doch die unfähigen Schüler ihre fähigeren Kameraden ungebührlich auf, und mussten doch die künftigen Kaufleute und Handwerker die sinnlosen Lateinübungen mitmachen; aber überall liess es der Mangel an den erforderlichen Mitteln beim alten. Im übrigen ging es bei allen diesen Schulen ebenso zu wie in unsrer Friedrichschule, deren Zustande wir uns nunmehr vergegenwärtigen wollen.

Die oberste Schulbehörde der Friedrichschule war bis 1787 das Oberkonsistorium, von da ab das Oberschulkollegium, beide in Berlin. Das Oberschulkollegium hat bis 1808 bestanden und mit allen Schulen des Staates einen weit regeren Verkehr unterhalten als vorher das Oberkonsistorium. Es verlangte regelmässige tabellarische Berichte und hatte die Anstellung sämtlicher Lehrer, deren Gehalt mindestens 60 Taler betrug, gutzuheissen; es hat auch zweimal die Friedrichschule durch einen Abgesandten revidiert: zuerst 1792 durch Meierotto, worüber sich aber keine Akten erhalten haben, dann 1802 durch den Staats- und Justizminister v. Massow, den damaligen Chef des Oberschulkollegiums; hierüber ist ein eingehender Bericht erhalten geblieben. Die eigentliche Provinzialbehörde der Friedrichschule war das Konsistorium in Königsberg, dem seit Errichtung des Oberschulkollegiums die Eigenschaft eines Provinzialschulkollegiums beigelegt wurde. Es hatte vor allem die inneren Angelegenheiten zu bearbeiten, Lehrpläne, Schulbücher, Schulzucht, Methode des Unterrichts und Amtsführung der Lehrer, die bis 1787 nur ein Tentamen vor der theologischen Fakultät in Königsberg abzulegen hatten, seitdem aber eine Schulamtsprüfung vor dem Konsistorium bestehen und in der zweiten Hälfte der Wollnerschen Periode auch einen Rechtglaubigkeitsrevers unterschreiben mussten. Der Ortsaufsichtsbeamte endlich war hier der Schulinspektor in der Person des ersten Geistlichen der Altstädtischen Kirche, der seit 1806 den Titel Superintendent führte und 1808 auch in der hier eingerichteten "geistlichen und Schuldeputation" als Konsistorialrat angestellt wurde. Rektor und Lehrer waren ihm "Rechenschaft von ihrer Amtsführung, Achtung, Subordination und Gehorsam schuldig". Er hatte sie in ihr Amt einzuführen, den Lektionsplan zu genehmigen, die Konferenzen zu leiten, die öffentlichen und seit 1790 auch die neu eingerichteten Abiturientenprüfungen abzuhalten und die erforderlichen Berichte an das Konsistorium abzufassen. Seine Disziplinargewalt war beträchtlich.

Um so geringern Einfluss hatte der Rektor, zumal wenn im Kollegium nicht die rechte "Eintracht herrschte, und das war fast während des ganzen Bestandes der Friedrichschule der Fall. Es fehlte ihr eben, wie allen damaligen Lateinschulen, an innerer Festigkeit und Ordnung oder vielmehr an jeder einheitlichen Zusammenfassung. Sie zerfiel eigentlich in vier selbständige Schulklassen mit je einem Lehrer, der sämtliche Lehrgegenstände in seiner Klasse zu vertreten hatte. Dieses Klassenmonopol wurde durch das Königsberger Konsistorium erst 1802 abgeschafft und der Schulinspektor angewiesen, jeden Lehrer in dem Fache unterrichten zu lassen, das er besonders gut beherrsche. Dabei sollte z. B. ein Schüler, der im Lateinischen in Tertia sass, in der Mathematik, Geographie oder Naturlehre, wenn er in diesen Gegenständen bereits weiter vorgeschritten ware, ganz gut in Prima sitzen können. Man kann nicht behaupten, dass die Sache durch dieses System besser geworden wäre. Das Grundübel bestand eben darin, dass der Schulinspektor die wichtigsten Rektoratsgeschäfte ausübte und dabei doch ausserhalb des Lehrerkollegiums stand. Wie gering die Macht des Rektors war, ersieht man u. a. daraus, dass er bis 1802 den Unterricht seiner Lehrer nicht zu inspizieren pflegte und dass, als in diesem Jahre der tüchtige und hochbegabte Rektor Stein sein Amt antrat und den übrigen Klassen einen Besuch abstattete, die Lehrer sich über ihn deswegen in Königsberg beschwerten; die Beschwerde wurde zwar abgewiesen, Stein aber bedeutet, er solle die Klassen nicht zu oft und womöglich nur an einem bestimmten Tage in der Woche revidieren. Ebenso hatte Stein grosse Schwierigkeiten zu überwinden, ehe er es durchsetzte, dass ihm die Kollegen mitteilten, wann sie wegen eines Kirchendienstes den Unterricht aussetzen mussten, damit er für Vertretung sorgen konnte; es kam darüber oft zu hässlichem Wortwechsel und einmal sogar zu Tätlichkeiten mit dem leicht erregbaren Konrektor, der deshalb vom Lehramte suspendiert wurde.

Es war überhaupt söorend und dem Aufblühen der Lateinschulen hinderlich, dass die Lehrer zugleich Kirchenbeamte waren und die Schüler ebenfalls zur Mitwirkung im kirchlichen Dienste stark herangezogen wurden. So bestand auch hier die Sitte, dass die ganze oder die halbe Schule, je nach der dafür bezahlten Gebühr, samt ihren Lehrern die Leichen der Bürger unter Absingung von geistlichen Liedern zu begleiten hatte; dies geschah oft zweimal, zuweilen viermal am Tage, und ein beträchtlicher Teil des Unterrichts fiel dabei aus. Alle Vorstellungen Steins und des Schulinspektors hiergegen bei den vorgesetzten Behörden waren vergeblich. Andere Missstände schlimmster Art kamen hinzu, um den ruhigen und geordneten Gang des Unterrichts zu erschweren. Die Lehrer nahmen oft ohne Wissen und Willen des Rektors Schüler in ihre Klassen auf und erhoben von ihnen Privatschulgeld, obwohl nach der 1775 vom Rektor Hensel aufgestellten und von den vorgesetzten Behörden genehmigten Disziplinar- und Schulordnung nur der Leiter der Anstalt neue Schüler ins Album einzuschreiben berechtigt war. Obwohl ferner die Schüler nur auf Konferenzbeschluss und nur zu Michaeli oder Ostern in höhere Klassen versetzt werden sollten, nahmen doch Konrektor und Subrektor auf eigene Hand Versetzungen und bisweilen sogar mitten im Kursus vor; manche Eltern setzten es auch durch, dass ihre Söhne, um z. B. einen etwas strengen Lehrer zu umgehen, alsbald von Quarta nach Sekunda aufrückten. Wieder andere Eltern nahmen ihre Kinder plötzlich ohne Abmeldung von der Schule weg und verursachten dadurch den Lehrern auch materiellen Schaden, da das Schulgeld immer nachträglich entrichtet wurde; noch andere Eltern behielten, um das Schulgeld zu sparen, ihre Kinder oft ein Vierteljahr zu Hause, oder diese fehlten auch langere Zeit ohne genügende Entschuldigung. Die Konfirmanden blieben ohnehin wöchentlich einen, späterhin zwei Vormittage vom Unterrichte aus.

Ferner litten das Ansehen der Schule und die Leistungsfähigkeit der Lehrer unter der jammervollen äussern Stellung, die der Lehrerstand hier wie auch sonst noch fast uberall einnahm. Schon die Art, wie die Gehälter aufgebracht wurden, hatte etwas Entehrendes an sich: da steuerten die Magistratskasse, die Kirchenkasse, die hiesige Kammereikasse bei, das Schulgeld wurde unter die Kollegen geteilt, das Holz deputatweise ihnen geliefert, und da von alle dem immer noch keine Familie leben konnte, mussten allerlei Akzidenzien aushelfen, und unter diesen war das schmachvollste das sog. Zirkuit- oder Umgangsgeld, etwa 35 Taler jährlich für jeden der vier Lehrer. Um die Neujahrszeit, oft acht Tage lang, gingen nämlich Lehrer und Schüler vor die Häuser der wohlhabenden Bürger, trugen dort geistliche Lieder vor und erbettelten dafür ein Almosen. Dass sie dabei oft in schnöder "Weise abgewiesen und noch obendrein groblich beschimpft wurden, dass der Unterricht eine Woche ausfiel, dass die Kinder geradezu zu Luderlichkeit und Bettelei" - denn auch sie erhielten ihren Anteil - angeleitet wurden, dass die ganze Einrichtung für die Lehrer etwas überaus Demütigendes hatte, alles das änderte nichts an dieser abscheulichen Unsitte, die erst 1810 aus der Welt geschafft worden ist. Unter solchen Verhältnissen ist es wohl zu verstehen, wenn auch nicht zu billigen, dass sich in einem der Lehrer (es war der Kantor Radzibor) zuweilen der Ingrimm in etwas drastischer Weise Luft machte; er soll, um die hiesige Kriegs- und Domänenkammer zu ärgern, zu den schlechtesten Schülern öfter die Ausserung getan haben: "Du kannst nur Kriegsrat werden!" oder bei den Predigten in der Kirche soll er die Stelle des Kirchengebets, wo von den verständigen und getreuen Räten des Königs die Rede ist, stets mit höhnischem Ton und Blick gegen den Kirchenstand gesprochen haben, wo die höheren Beamten der Kriegs- und Domänenkammer sassen.

Endlich liess auch die äussere Ausstattung der Friedrichschule viel zu wünschen übrig. Das Gebäude hatte im ganzen etwa 8500 Taler gekostet, aber für seine Unterhaltung wollte 20 Jahre lang niemand aufkommen, bis sich nach vielen Schreibereien endlich Magistrat und Kirche zu gleichen Teilen die Kosten teilten. "An Lehrmitteln gab es bei Begründung der Schule nur 2 Globen, eine Luftpumpe und ein Fernrohr, und dabei blieb es viele Jahrzehnte. Um wenigstens eine Bibliothek zu beschaffen, wurde ein Versetzungsgeld erhoben, aber angesichts der mangelhaften Besoldung der Lehrer schliesslich unter diese verteilt. Man war also auf Schenkungen und milde Beiträge angewiesen, und auf diese Weise erhielt die Schule endlich eine kleine Bibliothek. Die Mitglieder der Kriegs- und Domänenkammer und andere Honoratioren der Stadt bildeten nämlich einen Lesezirkel, der sich wissenschaftliche und belletristische Werke anschaffte; und als sich dieser Zirkel 1784 aufloste, vermachte er unsrer Schule die vorhandenen Bücher, etwa 550 Bände, zu denen bis 1805 nur noch ein einziges neues Buch hinzugekommen ist. Eine andere milde Stiftung des hiesigen Publikums brachte noch einmal 144 Taler ein, mit denen man u. a. eine Elektrisiermaschine und eine galvanische Säule kaufte.

Trotz der Ungunst solcher Zustände entsprachen die Leistungen der Friedrichschule doch dem wissenschaftlichen Stande der Lateinschulen überhaupt. Zu allen Zeiten sind hier Zöglinge so weit vorbereitet worden, dass sie ohne weiteres zur Universität übergehen konnten. Nur unter der Leitung des Rektors Romeicke von 1778 bis 1781 verlor unsre Schule ihr Ansehen in dem Maße, dass die Eltern vielfach ihre Söhne nach Königsberg schickten und die Prima geradezu leer stand. Seit 1790 wurden dann, wie ich schon früher bemerkt habe, auch hier Abiturientenprüfungen abgehalten, die, vom Freiherrn v. Zedlitz für ganz Preussen eingerichtet, den ausgesprochenen Zweck hatten, den Universitäten besser geschulte Elemente zuzuführen. Die Prüfungen fanden zu Neujahr und Johanni statt, die Entlassenen hatten ein Alter von 15 1/2 bis 19 Jahren. Bevor ich darlege, was man etwa von ihnen verlangte, muss ich zunächst auf den Umfang des Unterrichts an der Friedrichschule im allgemeinen eingehen. Es gab hier, wie mehrfach erwähnt, vier Klassen, die Prima mit dreijährigem Kursus unter dem Rektor, die Sekunda mit zweijährigem Kursus unter dem Konrektor, die Tertia unter dem Kantor und die Quarta, die in den Elementarfächern auch von Mädchen besucht wurde, unter dem Subrektor. Die Quarta, in die die Schüler oft ohne jede Kenntnisse eintraten, erhielt 26 Stunden wöchentlichen Unterricht, die übrigen Klassen je 40, später je 36 Stunden. In allen Klassen bildeten die Theologie, wie man hier und auch anderwärts die Religionstunden nannte, sowie das Lateinische den Mittelpunkt des gesamten Unterrichts; die Theologie war denn auch mit 8 Stunden in Quarta, mit 5 in Tertia und mit je 4 in Sekunda und Prima angesetzt, und das Lateinische mit allerdings nur 4 Stunden in Quarta, dann aber mit 14 in Tertia, mit 12 in Sekunda und mit 13 in Prima, von denen drei Stunden ausdrücklich den römischen Altertümern und der Poetik vorbehalten waren. Alle übrigen Lehrgegenstände, die wir noch heute auf den Gymnasien haben, waren nichts als Nebenwerk. Auch das Griechische, das nur in Sekunda mit 4 und in Prima mit 3 Stunden bedacht war, lernte man nur am Neuen Testament, und als 1806 endlich auch Xenophons Memorabilien hinzukamen, brachte man es bei den wenigen zur Verfügung stehenden Stunden auch nicht viel weiter. Deutschen Unterricht gab es überhaupt nicht, nur die Rechtschreibung wurde bis Sekunda und der Briefstil bis Prima geübt. Aber selbst im Lateinischen waren die Anforderungen recht mässig; denn die Schriftsteller, die man in Prima las, waren Cornelius Nepos, Curtius, Ciceros Briefe und mit besonders befähigten Schülern noch des Plinius Briefe und Ciceros Offizien. Das Gelesene, das nach allen Richtungen hin gründlich durchgenommen wurde, hatten dann die Schüler in schriftlichen und mündlichen Übungen nachzuahmen, auch Chrien und Reden darüber anzufertigen, die im Stil nicht bloss korrekt, sondern auch zierlich sein sollten. Sehr schwach mag es mit dem Geschichtsunterricht bestellt gewesen sein, wie wenigstens aus dem hier eingeführt gewesenen Lehrbuch hervorgeht. Es war Joh. Heinr. Zopfens Universalhistorie und zerfiel in die Historie des Alten und des Neuen Testaments. Im ersten Teil bildeten die biblischen Regenten den Leitfaden, an den die Geschichte der anderen Völker synchronistisch anknüpfte; der zweite Teil ging von den römischen Kaisern aus und leitete dann zu Karl dem Grossen über, wobei namentlich wieder die Kirchengeschichte betont wurde. Auf andere Lehrgegenstände will ich hier nicht eingehen, nur noch hinzufügen, dass die Zahl der gebrauchten Lehrbücher auffallend gross war, und dass die Neueinführungen im Jahre 1802 mancherlei Klagen bei den Eltern erregten. Zeichen- und Turnunterricht waren noch etwas Unbekanntes; der Zeichenunterricht wurde zum erstenmal 1806 vom Oberschulkollegium empfohlen, ist aber in der Friedrichschule niemals eingeführt worden.

Ein Bild nun von den Anforderungen zu geben, die man an die Abiturienten stellte, ist deshalb sehr schwer, weil die Instruktion über die Abgangsprüfung ganz unbestimmt lautete, so dass das Verfahren überaus geschwankt hat. So wurden 1794 nur zwei schriftliche Arbeiten, dagegen 1799 schon 5 und 1805 sogar 10 verlangt; im Mündlichen schwankte die Zahl der Gegenstände zwischen 8 und 10. Unter den schriftlichen Arbeiten fehlte der deutsche Aufsatz ganz; dafür wurden aber deutsche Übersetzungen aus dem Lateinischen, Griechischen und Französischen verlangt, und zwar aus den in der Klasse gelesenen Schriftstellern oder Chrestomathien, ausserdem deutsche Bearbeitungen eines geschichtlichen, eines geographischen, eines mathematischen und naturgeschichtlichen Themas. Längere Zeit scheinen 2 lateinische Aufsätze angefertigt worden zu sein, so 1805 einer über die 7 Könige Roms und einer über die öffentlichen Spiele der Römer; die Arbeiten sind aber sämtlich von massigem Umfange, oft nur eine Folioseite stark, selten 3-4. Die Urteile des Oberschulkollegiums, an das die Arbeiten schliesslich eingesandt wurden, lauten denn auch nicht sonderlich günstig; sie tadeln u. a. das Elementarische und empfehlen mehr Gründlichkeit.

Seit der Gründung der Friedrichschule fanden jährlich noch zwei öffentliche Schulprüfungen statt, eine kleine zu Ostern unter Leitung des Schulinspektors und eine grosse zu Michaeli, zu der durch ein geschriebenes, der Kosten wegen nicht gedrucktes Programm eingeladen wurde. Bei dieser Prüfung hatte jeder Zuhörer das Recht, den Schülern Aufgaben zu stellen, die natürlich dem wissenschaftlichen Standpunkte der Klasse entsprechen mussten; das konnte aber aus dem Programm ersehen werden, da auf ihm der Lehrstoff ebenfalls verzeichnet war. Schriftliche Schulzeugnisse wurden nicht ausgestellt; es konnten also auch die schlechtesten Schüler den Ferien mit Ruhe entgegensehen. An Ferien war übrigens kein Mangel, wenn sie auch zu Weihnachten und zu Ostern kürzer waren als heutzutage und in den 4 Hundstagswochen in jeder Woche nur ein paar Tage frei gegeben wurden; dafür fiel aber der Unterricht, abgesehen von Königs Geburtstag, auch zu Fastnacht, Walpurgis, Johannis und Martini und an den drei Jahrmärkten je drei Tage aus.

Was schliesslich noch die Schulzucht anlangt, so waren die Disziplinarmittel dieselben wie heute; da jedoch die Roheit der damaligen Jugend oft alles Maß, das wir uns vorstellen können, weit überstieg, kamen doch die Primaner in den ersten Zeiten der Friedrichschule noch mit Federhut, Stock und Degen in die Klassen und führten die entsetzlichsten Raufereien aus, so spielte die körperliche Züchtigung noch eine grosse Rolle. Um dem groben Unfug der Schüler zu steuern und gute Sitte mehr zur Geltung zu bringen, empfahl das Konsistorium denn auch, etwa das Hallische Sittenbuchlein wöchentlich in einer Stunde traktieren zu lassen. Damit nehmen wir von der alten Friedrichschule, die 45 Jahre in dem Hause auf der Darkehmer Strasse bestanden hat, für heute Abschied. Wie am Anfange ihrer Laufbahn, so ist sie auch gegen das Ende derselben mit den Russen in Berührung gekommen. Als nämlich im Februar 1807 nach der Schlacht bei Eilau russische Truppen durch Gumbinnen zogen, räumte ihnen der Magistrat unsre Schule für mehrere Tage als Lazarett ein.

Fast hundert Jahre sind seitdem verflossen. Das damals durch den grossen Korsen tief gedemütigte Vaterland hat inzwischen eine Entwickelung durchgemacht, die an gewaltigen und erhebenden Taten und Ereignissen fast überreich ist, eine Entwicklung, aus der uns vor allem die Wiederaufrichtung eines mächtigen Deutschen Reichs - wie eine belebende Sonne entgegenstrahlt. Die preussischen höheren Schulen haben ihren redlichen, nicht verachtlichen Anteil daran gehabt. Beschützt und gefordert durch das Verständnis der hohenzollerschen Herrscher, sind sie innerlich zu immer festerer Ordnung, zu immer grösserer Vervollkommnung fortgeschritten und behaupten seit langer Zeit den ersten Platz unter den höheren Lehranstalten aller gebildeten Völker der Erde. Wohl ist ihre Aufgabe infolge der unaufhörlich zunehmenden Erkenntnis auf allen Gebieten des Wissens seit einigen Jahrzehnten ins Ungeheure gewachsen, aber auch hier ist Rat geschafft worden: auf drei verschiedenen Wegen führen sie jetzt die Jünglinge auf die Hochschulen und in das praktische Leben, und doch ist ihr Ziel auf allen drei Wegen dasselbe geblieben: wahre Gottesfurcht, Liebe zum Vaterlande und Streben nach Wahrheit.

Mit der gewonnenen politischen Macht wuchs aber auch der äussere Wohlstand unsers Vaterlandes; und auch dieser machte sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt an unseren Schulen deutlicher bemerkbar: die Zahl der höheren Schulen nahm stetig zu, und die äussere und innere Ausstattung ihrer Gebäude gestaltete sich immer geschmackvoller und grossartiger. Wie herrlich ist auch dieses neue Gebäude, in das wir heute eingezogen sind! Den hohen Behörden, als deren Vertreter Sie, hochgeehrter Herr Ober- und Geheimer Regierungsrat, unter uns zu sehen wir die besondere Ehre und grosse Auszeichnung haben, spreche ich zugleich im Namen meiner Amtsgenossen und Schüler den ehrerbietigsten Dank dafür aus, dass sie in so hochherziger Gesinnung und mit so vollen Händen für uns gesorgt haben; ebenso gebührt unser aufrichtiger Dank der verständnisvollen Bauleitung, die in rastloser Tätigkeit das schöne Werk so schnell und so glücklich vollendet hat, und insonderheit Ihnen, hochgeehrter Herr Regierungspräsident, der Sie dem Bau von Anbeginn an bis zuletzt stets das wärmste Interesse und die wohlwollendste Förderung haben angedeihen lassen. Uns aber, den Grossen wie den Kleinen, soll das schöne Haus ein neuer Sporn zu freudiger und gewissenhafter Pflichterfüllung sein, und dazu gebe uns der Allmachtige seine Kraft!

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